Quelle: |
Bundesfinanzhof |
Art des Dokuments: | Urteil |
Datum: | 07.05.2024 |
Aktenzeichen: | IX R 21/22 |
Vorinstanz: |
FG Niedersachsen |
Art des Dokuments: | Urteil |
Datum: | 18.03.2022 |
Aktenzeichen: | 7 K 11127/18 |
Schlagzeile: |
Keine Einsicht in Steuerakten zur Prüfung eines Schadenersatzanspruchs gegen Dritte
Schlagworte: |
Akteneinsicht, Auskunftsanspruch, Bestandskraft, Datenschutzgrundverordnung, DSGVO, Ermessen, Verfahrensrecht
Wichtig für: |
Steuerberater
Kurzkommentar: |
1. Der Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über einen Antrag auf Einsicht in eine Steuerakte außerhalb eines finanzgerichtlichen Verfahrens besteht nicht, wenn der Steuerpflichtige für den betroffenen Besteuerungszeitraum bereits bestandskräftig veranlagt wurde und die Einsichtnahme der Verfolgung steuerverfahrensfremder Zwecke dienen soll (hier: Prüfung eines Schadenersatzanspruchs gegen den ehemaligen Steuerberater).
2. Der Anspruch auf Auskunftserteilung über die Verarbeitung von personenbezogenen Daten gemäß Art. 15 Abs. 1 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) wird nicht nach Art. 23 Abs. 1 Buchst. i DSGVO i.V.m. § 32c Abs. 1 Nr. 1, § 32b Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) ausgeschlossen, wenn hierdurch auch Daten berührt werden, die dem (ehemaligen) Steuerberater der betroffenen Person zuzuordnen sind, allerdings aus einer Erklärung stammen, die der Steuerberater als deren Vertreter im Sinne von § 80 Abs. 1 Satz 1 AO übermittelt hat.
3. Gesetzliche Aufbewahrungsvorschriften für Steuerakten der Finanzverwaltung bestehen nicht, sodass ein Auskunftsrecht über darin enthaltene personenbezogene Daten nicht nach Art. 23 Abs. 1 Buchst. i DSGVO i.V.m. § 32c Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a AO ausgeschlossen ist.
AO § 30 Abs. 2 Nr. 1, § 32b Abs. 1 Nr. 2, § 32c Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 3 Buchst. A, § 80 Abs. 1 Satz 1, § 91 Abs. 1
DSGVO Art. 2 Abs. 2 Buchst. A, Art. 15 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4, Art. 23 Abs. 1 Buchst. I
BGB § 242
GG Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3
EUGrdRCh Art. 41 Abs. 1 und 2
Hintergrund: Die Einsichtnahme in Steuerakten nach Durchführung des Besteuerungsverfahrens ist ausgeschlossen, wenn der Steuerpflichtige hiermit steuerverfahrensfremde Zwecke verfolgen will, wie zum Beispiel die Prüfung eines Schadenersatzanspruchs gegen seinen Steuerberater. Hiervon unberührt bleibt ein Auskunftsanspruch über die Verarbeitung personenbezogener Daten nach Maßgabe der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 07.05.2024 – IX R 21/22 entschieden.
Das Finanzamt (FA) hatte gegen die Kläger Einkommensteuer für 2015 festgesetzt. Später beantragten diese, Einsicht in ihre Einkommensteuerakte zu erhalten. Sie wollten überprüfen, ob ihr Steuerberater ordnungsgemäße Angaben zu den steuerlichen Verhältnissen gemacht hatte. Dies lehnte das FA ebenso ab, wie den späteren Antrag, Auskunft über die Verarbeitung personenbezogener Daten gemäß Art. 15 Abs. 1 und 3 DSGVO durch Einsichtnahme in die Steuerakte zu erteilen. Das Finanzgericht trat dem entgegen und verpflichtete das FA, Akteneinsicht zu gewähren und den datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch zu erfüllen.
Der BFH hob die von der Vorinstanz ausgesprochene Verpflichtung des FA zur Gewährung von Akteneinsicht auf und wies die Klage insoweit ab. Die Kläger hätten die Einsichtnahme erst nach Durchführung der Einkommensteuerveranlagung beantragt, sodass der einer Akteneinsicht innewohnende Anspruch auf rechtliches Gehör vor Erlass einer Verwaltungsentscheidung nicht berührt werde. Das FA sei auch nicht verpflichtet, die Kläger bei deren Prüfung, ob ein Schadenersatzanspruch gegen den Steuerberater bestehe, durch eine nachträgliche Akteneinsicht zu unterstützen. Die Kläger verfolgten insofern außerhalb des Besteuerungsverfahrens liegende Zwecke.
Das FA sei aber verpflichtet, den Klägern gemäß Art. 15 DSGVO Auskunft darüber zu erteilen, welche sie betreffenden personenbezogenen Daten verarbeitet worden seien. Gesetzliche Ausschlussgründe lägen nicht vor; insbesondere sei kein zu Gunsten des Steuerberaters eingreifendes Steuergeheimnis zu beachten. Der datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch sei allerdings nicht einem Akteneinsichtsrecht gleichzusetzen. Der Kopienübermittlungsanspruch gemäß Art. 15 Abs. 3 DSGVO beziehe sich grundsätzlich nur auf die personenbezogenen Daten selbst und nicht auf Dokumente. Anderes gelte ausnahmsweise dann, wenn der Steuerpflichtige darlege, dass die Übersendung von Dokumentenkopien unerlässlich sei, um wirksam datenschutzrechtliche Ansprüche zu verfolgen.
Tenor:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 18.03.2022 - 7 K 11127/18 insoweit aufgehoben, als der Beklagte verpflichtet wurde, Einsicht in die Einkommensteuerakte des Veranlagungszeitraums 2015 zu gewähren.
Insoweit wird die Klage abgewiesen.
Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens haben die Beteiligten je zur Hälfte zu tragen.